Erwachsen werden: Was bedeutet das überhaupt? Und ab wann gilt man als erwachsen? Der 18. Geburtstag markiert zwar rein rechtlich gesehen die Grenze zum Erwachsenenalter, aber in Wirklichkeit stellt sich an diesem Tag kein Schalter von „Jugendlicher“ auf „Erwachsener“ um. Das Erwachsenwerden ist eher ein langer Prozess, der mit dem Übergang vom Kindesalter zum Jugendalter, der Pubertät, beginnt.
Und warum das alles? Der jugendliche Mensch wird in dieser Zeit auf das Erwachsenenleben vorbereitet. Indem sich Jugendliche von den Eltern abgrenzen und deren Werte in Frage stellen, entwickeln sie ihre eigenen Wertevorstellungen und lernen, selbstständig zu sein. In dieser verwirrenden Zeit, die Eltern und Heranwachsende gleichermaßen fordert, und oftmals auch überfordert, haben Eltern die Aufgabe, Halt und Orientierung zu geben.
Alles neu
Die Pubertät ist der Beginn einer neuen Lebensphase: Der Körper fühlt sich plötzlich fremd an und die Gefühle spielen verrückt. Körperlich entwickeln sich nun die äußeren Geschlechtsmerkmale und die Geschlechtsorgane. Daneben schießt die Körpergröße nochmals in die Höhe, zumeist beginnend an Füßen, Armen und Beinen. Was das zeitweise etwas unproportionale Aussehen von Jugendlichen erklärt. Da schlackern schon mal die Arme am Körper und die Schuhgröße wächst gefühlt über Nacht.
Nicht nur der Körper verändert sich, auch das Hirn wird tiefgreifend umgebaut und sozusagen „neu verkabelt“. Der Kinderarzt und Autor Remy H. Largo vergleicht die Neuverkabelung des Gehirns in der Pubertät mit der Neuformatierung einer Computerfestplatte. Zum Abschluss der Wachstumsphase hat jeder Jugendliche eine neue Festplatte mit Betriebssystem, deren Programme von ihm nach seinen Interessen, Wünschen und Entscheidungen genutzt werden kann. So ein Umbau braucht Zeit und gestaltet sich bei jedem Jugendlichen individuell.
Jeder Pubertätsverlauf ist unterschiedlich. Das können alle Eltern, die bereits mehrere ihrer Kinder durch die Pubertät begleitet haben, bestätigen. Manche sind früher dran, andere gelten als Spätzünder. Mädchen sind hinsichtlich ihres Entwicklungsalters den Jungen immer bis zu anderthalb Jahre voraus. Diese unterschiedliche Entwicklung in den Entwicklungsbereichen wirkt auf das Umfeld chaotisch, ist aber von der Natur aus vorgesehen. Entwicklungsbiologisch garantiert diese Vielfalt eine bessere Anpassung an Umweltbedingungen und somit das Überleben.
Besonders spät ordnen sich im Gehirn des Heranwachsenden die Hirnregionen, die für Planung, Impulsivität und sozialer Bindung zu tun haben. Das ist auch der Grund dafür, dass Jugendliche in dieser Zeit starke Stimmungsschwankungen haben, die Kommunikation mit den Eltern entweder gegen Null tendiert oder der Redeschwall beim Ausdiskutieren der Zeiten für das Nachhausekommen nicht mehr aufhört. Nicht zu vergessen, dass die Schule und das Lernen in den Hintergrund tritt und das Zusammensein mit Gleichaltrigen wichtiger wird. Sehr zum Missfallen der Eltern, die sich Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder machen.
Freiraum und Halt geben
Die Pubertät ist eine Zeit großer Unsicherheit – nicht nur für die Jugendlichen, sondern auch für die Eltern. Nicht umsonst gilt die Pubertät als eine der stärksten Belastungsproben für die ganze Familie. Während dieser Zeit eine gute Balance zwischen Nähe und Freiraum zu geben, ist keine leichte Aufgabe und benötigt vor allem Geduld, Verständnis und Respekt auf allen Seiten. Ganz ohne Konflikte kommt keiner durch die Pubertät. Eltern können Ängste rund um die Pubertät genommen werden, indem sie sich offen und aufgeschlossen mit dem Thema Pubertät auseinandersetzen und sich die eigenen Erfahrungen aus ihrer Pubertät nochmals vor Augen führen. Wie hat man sich selbst damals gefühlt? Wie hat man das eigene Erwachsenwerden erlebt?
Eines haben Eltern und Kinder in dieser Umbruchsphase gemeinsam: Beide sehen sich mit Ängsten und Unsicherheiten konfrontiert. Anstatt die Augen vor dem Unvermeidlichen zu verschließen, ist es ratsam, dem nun jugendlichen Kind Hilfestellung zu geben, während es die stürmische See der Pubertät befährt. Nicht umsonst setzt der dänische Familientherapeut Jesper Juul Eltern mit einem Leuchtturm gleich, der in regelmäßigen Abständen Signale aussendet, damit Kinder einen sicheren Kurs halten. Jugendliche brauchen das Wissen, da ist jemand, der für einen da ist, der Rückhalt gibt und an dem man sich orientieren kann. Zu dem man aber auch auf Distanz gehen kann und der Reibungsfläche bietet.
Warum das alles?
Genügend Eltern würden ihre Kinder wohl am liebsten am Anfang der Pubertät abgeben und später wieder abholen, wenn alles durchgestanden ist. Wo bleibt da der ganze Spaß? Ja, die Pubertät ist keine leichte Zeit und oft zum Haare raufen. Aber es ist auch die Zeit, in der Eltern erleben, wie ihr Kind ein Erwachsener wird. Eine eigenständige Persönlichkeit, die Schritt für Schritt den Weg ins eigene Leben bestreitet.
Denn darum geht es: Den jugendlichen Menschen mit all dem Rüstzeug auszustatten, das er braucht, um sich den Herausforderungen des Lebens zu stellen und diese so gut es geht zu meistern. Ihm zu helfen, seine eigene Persönlichkeit zu entwickeln. Heranwachsende grenzen sich zu ihren Eltern ab und stellen deren Weltanschauung in Frage, um ihre eigenen Vorstellungen von Werten und Anschauungen zu entwickeln. Das Auflehnen der Jugend gegen alte Ordnungen und traditionelle Werte bringt Neues hervor. Konflikte und Reibungspunkte mit den Eltern helfen dabei, die eigene Identität zu finden sowie Wünsche und Träume jenseits der Vorstellungen der Eltern zu entwickeln. Wichtig ist es, miteinander im Gespräch zu bleiben und wirkliches Interesse zu zeigen.
Gerade jetzt, wo der Jugendliche seine Eltern am weitesten von sich stößt, braucht er diese am meisten. Wenn alles im Wandel ist, hilft es bereits viel, zu wissen, da sind Personen, auf die ich mich verlassen kann, und die mir Orientierung und Sicherheit geben können. Egal, ob man ein Kind, ein Jugendlicher oder ein Erwachsener ist: Regeln und Rituale helfen bei der Strukturierung des Alltags. Um das Zusammenleben mit einem pubertierenden Jugendlichen erträglich zu machen, ist es wichtig, Rechte und Pflichten neu auszuhandeln. Das Jugendzimmer ist ab sofort Tabuzone? Eltern achten auf die Privatsphäre, dafür soll das Kind seinen Beitrag im Haushalt leisten.
Regeln sind nur der Rahmen für das Zusammenleben, sie sind nicht in Stein gemeißelt. Sie können jederzeit neu verhandelt werden. Gleichzeitig ist dies auch eine Art, um miteinander im Gespräch zu bleiben. Viele Eltern haben Angst, dass sie ihr Kind verlieren. Statt nur den Verlust zu sehen, ist es besser mit seinem Kind eine neue Form der Beziehung aufzubauen. Wie ein Gummiband sieht die Sozialpädagogin Marie Luise Schrimpf-Rager die Beziehung zwischen Eltern und Kind: Mal ist Spannung darauf, mal hängt es durch, mal hat es Kontakt, aber die elastische Bindung ist immer da. Es ist ein Widerspruch in sich selbst: Eltern, die loslassen können, schaffen Nähe zu ihrem Kind.
Sexualität und Aufklärung
Wenn man heutzutage mit Eltern über die Sexualität ihrer Kinder spricht, kommen oft Sätze wie: „Die sind heute so viel weiter als wir damals waren - was die nicht alles wissen!“ oder „Das lernen die Jugendlichen doch alles aus dem Internet.“ Im Internet gibt es viele gute Informationsseiten über Liebe, Sexualität, Verhütungsmethoden, sexuelle Orientierung oder ungewollte Schwangerschaft – andererseits aber auch viele Informationen, die eher verunsichern. Neben den Eltern als Ansprechpartner zum Thema Sex und Aufklärung gelten Freunde, Lehrpersonen, Ärzte (z.B. Frauenärzt*innen), Beratungsstellen und das Internet.
Eltern sollten ihre Gesprächsbereitschaft signalisieren, ihren Kindern aber kein Gespräch aufzwingen. Vielleicht erinnern Sie sich an die eigene Pubertätszeit? Wie haben die Eltern einen aufgeklärt? Wie wäre man gerne aufgeklärt worden? Aufklärung muss nicht zwingend in der Pubertät geschehen. Kinder sind von Natur aus neugierig und stellen bereits im Kindesalter Fragen rund um das Thema Sexualität, die offen und kindgerecht beantwortet werden sollten.
Zu wissen, was mit dem eigenen Körper passiert und was Sexualität bedeutet, nimmt Ängste. Der erste Samenerguss, die erste Periode oder Selbstbefriedigung: die Veränderung des Körpers und seiner Bedürfnisse geht auch mit Schamgefühlen und Unsicherheiten einher. Deshalb sind Bücher und Broschüren zum Thema Aufklärung, die man den Jugendlichen entweder direkt anbietet oder die man im Zimmer wie beiläufig liegen lässt, sehr hilfreich, um einen offenen Umgang mit Sexualität zu fördern.
Jugendportal der BZgA: www.loveline.de
ProFamilia: www.profamilia.de
Jung und Schwanger (BZgA): www.jung-und-schwanger.de
Freunde und Clique
Während der Pubertät tritt die Familie in den Hintergrund und das Zusammensein mit Gleichaltrigen in den Vordergrund. Freunde werden zu den wichtigsten Bezugspersonen im Leben eines Jugendlichen. In der Gruppe erlernen sie soziale Kompetenzen, finden soziale Sicherheit und kommen in Kontakt mit dem jeweils anderen Geschlecht. Im Rahmen der Clique werden Sozialverhalten, Wertevorstellungen und politische Denkweisen ausprobiert. Bei Freunden kann man sich über die Eltern und die Schule auslassen, man bekommt aber auch Kritik zu hören. Gemeinsame Interessen und Aktivitäten schweißen zusammen.
Eltern sollten ihre Kinder über möglichen Gruppenzwang aufklären: Sie müssen nicht alles mitmachen, was die Gruppe macht. Auch hierbei kann es helfen, aus der eigenen Jugend zu erzählen. Da Jugendliche in der Pubertät stark impulsiv reagieren können und besonders bei Jungen die Risikobereitschaft steigt, sich zu beweisen, kann die Kontrolle leichter verloren werden.
Verbote bei Alkohol und Zigaretten sind der falsche Weg. Denn was verboten ist, macht die Sache nur noch interessanter. Außerdem ist der Genuss von Alkohol und Zigaretten in der Gesellschaft anerkannt: Viele Eltern rauchen selbst und/oder trinken Alkohol. Wer sein Kind über die Gefahren und Konsequenzen von Rauchen und Alkoholgenuss aufklären möchte, sollte auf jeden Fall auch seinen eigenen Konsum überdenken und vielleicht verringern.
Man kann sein Kind nicht vor Erfahrungen mit Alkohol oder Drogen bewahren. Aber man kann das Kind stark machen gegen Sucht, indem man alles dafür tut, damit es einen vernünftigen Umgang damit entwickelt und genügend Selbstbewusstsein hat, um „Nein“ zu sagen. Ein schwaches Selbstwertgefühl, emotionale Unsicherheit und ein Wunsch nach Anerkennung in der Gruppe können dazu führen, sich auf Aktionen oder Dinge einzulassen, die man mit mehr Nachdenken entschieden ablehnen würde. Im Gespräch können Eltern ihrem Kind die Sorgen und Ängste, die sie mit dem Thema verbinden, klarmachen, und über Gefahren informieren. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bietet auf www.drugcom.de Informationen zum Thema an. Bei Bedarf sollte professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden.
Weiterführende Literatur:
Lisa Damour: Wenn Töchter erwachsen werden. Was Mädchen in der Pubertät brauchen. Kösel, 2016.
Haug-Schnabel, Gabriele u. Nikolas Schnabel: Pubertät. Eltern-Verantwortung und Eltern-Glück. ObersteBrink, 2008
Juul, Jesper: Pubertät – Wenn Erziehen nicht mehr geht. Gelassen durch stürmische Zeiten. Kösel, 2010.
Largo, Rene H. u. Monika Czernin: Jugendjahre. Kinder durch die Pubertät begleiten. Piper, 2011.
Leibig, Corinna u. Hans Hopf: Bin ich richtig? Pubertätswegweiser für Jugendliche. Mabuse Verlag, 2023.
Schrimpf-Rager, Marie Luise: Erwachsen werden. Ein Begleiter durch die Pubertät. Herder, 2010.
Winter, Richard: Jungen & Pubertät: In Beziehung bleiben, wenn alles anders wird. Beltz, 2020.