Gefühle verstehen

Emojis mit verschiedenen Emotionen vor Hintergrund

Die Welt umarmen können, geballte Fäuste und eine unbändige Wut im Bauch oder sich vor Angst ganz klein machen - Gefühle gehören von Beginn an zum Leben dazu. Doch der richtige Umgang mit ihnen muss, wie so vieles andere, erst in der Kindheit erlernt werden. Gefühle verstehen - wie geht das?

Die eigenen Gefühle wahrzunehmen, sie zu erkennen und zu benennen sowie sie als hilfreiche Begleiter zu erfahren, ist wesentlich für die kindliche Entwicklung und wichtig für die soziale Kompetenz. Wer gut mit den eigenen Gefühlen umgehen kann, dem fällt es leichter, sich in andere hineinzuversetzen und Rücksicht zu nehmen. Bei diesem Lernprozess können Eltern ihre Kinder unterstützen. Indem sie offen mit Gefühlen umgehen und ihren Kindern vermitteln, dass jedes Gefühl seine Berechtigung hat.

Was sind Gefühle?

GefühlsthermometerGefühle sind Reaktionen unseres Körpers und Geistes auf das, was um uns herum oder in uns passiert. Sie helfen uns, Situationen zu verstehen und darauf zu reagieren. Zum Beispiel fühlen wir Freude, wenn wir etwas Schönes erleben, oder Angst, wenn wir uns bedroht fühlen. Gefühle wie Wut, Trauer oder Freude können unseren Herzschlag verändern, uns lächeln oder weinen lassen.

Wieso sind Gefühle wichtig?

Sie beeinflussen, wie wir Entscheidungen treffen und wie wir mit anderen Menschen umgehen. Gefühle sind wichtig, weil sie uns zeigen, was wir brauchen und weil sie uns helfen, mit anderen Menschen verbunden zu sein. Dabei sind Gefühle nicht als Gegensatz zum Verstand zu sehen, sondern Gefühle und Verstand gehören zusammen. Es gibt kein Denken ohne Gefühle.

Kinder und Gefühle

Die emotionale Entwicklung des Kindes zieht sich durch die ganze Kindheit. Bis zum Schulalter lernen Kinder, sich der eigenen Gefühle bewusst zu sein und diese durch Mimik und Gestik auszudrücken. Sie lernen, mit Gefühlen umzugehen und diese eigenständig zu regulieren. Zudem erwerben sie die Fähigkeit, die Gefühlsausdrücke anderer zu erkennen und zu verstehen.

Im ersten Lebensjahr erfahren Kinder zunächst Gefühle wie Freude, Ärger, Trauer und Angst. Beim Umgang mit diesen Gefühlen brauchen sie die Geborgenheit der Eltern, die dem Kind zeigen, dass sie da sind und die Bedürfnisse des Kindes verstehen. Durch Körperkontakt und das Erkennen, was das Kind gerade braucht, geben die Eltern dem Kind Sicherheit.

Trauriger SmileyWird das Kind größer, werden auch die Gefühle vielfältiger. Das Kind erkundet seine Welt und sammelt Erfahrungen. Begleitet wird es dabei von den Eltern, die es trösten, wenn nicht immer alles so klappt, wie das Kind es möchte. Auf diese Weise lernt das Kind auch mit Frustration und Enttäuschung umzugehen und sich nicht unterkriegen zu lassen.

Das dritte Lebensjahr ist geprägt durch den Wunsch nach mehr Eigenständigkeit und dem gleichzeitigen Bedürfnis nach Schutz. In dieser Trotzphase kommt das Kind - und die Eltern zuweilen auch - an seine Grenzen. Um mit diesen Gefühlsschwankungen umzugehen, braucht das Kind Eltern, die ihm Orientierungshilfe bieten und ihm zeigen, wie es mit seinen Gefühlen umgehen kann. Eltern, die ihm auch zeigen, dass es eine Grenze gibt, wenn andere verletzt oder Gegenstände zerstört werden. Alle Gefühle haben ihre Berechtigung, aber nicht alle damit verbundenen Verhaltensweisen sind in Ordnung.

Eltern begleiten die Gefühle ihrer Kinder. Nehmen sie in den Arm, helfen ihnen, diese zu benennen, geben ihnen Raum oder sind einfach für es da, wenn das Kind eine heftige Gefühlsregung hat. Wichtig ist es, dem Kind zu vermitteln das alle Gefühle ihre Berechtigung haben. Egal, ob es schöne oder „unangenehme“ Gefühle sind: Gefühle kommen und gehen.

Eltern können ihr Kind bei einem Wutanfall unterstützen, indem sie dem Kind helfen, das Gefühl zu benennen: „Du bist wütend, weil der Turm aus Bauklötzen zusammengefallen ist.“ Wenn der Druck sich abgebaut hat, kann man sich gemeinsam Lösungsmöglichkeiten überlegen. Sollte das Kind mit Gegenständen werfen, helfen Lösungen erst einmal nicht weiter, dann ist ein Eingreifen wichtig. Das Kind ist in diesem Moment nicht aufnahmebereit. Uns Erwachsenen geht es da nicht anders, auch wir brauchen erst wieder einen klaren Kopf, bevor wir wieder offen Lösungen sind. Im Gegensatz zum Kind haben wir aber gelernt, uns selbst zu regulieren.

Wütendes EmojiUm sein Kind in einer heftigen Gefühlsreaktion angemessen zu unterstützen, nennt Nicola Schmidt in ihrem Buch artgerecht. Das andere Kleinkinderbuch zwei Möglichkeiten: Erstens abzuwarten, bis die Stressreaktion abklingt und dabei präsent bleiben. Wenn das Kind wieder aufnahmebereit ist, kann zusammen überlegt werden, was gemacht werden kann. Zweitens: sich zu bewegen. Laufen, Toben oder Lachen baut Stress ab. Ist das Kind gelöster, wird über die Situation nochmal gesprochen: „Da warst du aber wütend. Möchtest du erzählen, was los ist?“. Dabei ist es hilfreich, sich dem Kind ganz zuzuwenden, d.h. auf seine Höhe zu kommen, Augenkontakt zu haben und präsent zu sein.

Sätze wie z.B., „Reg‘ dich nicht auf!“ „Macht doch nichts!“ „Da muss man doch nicht gleich weinen!“, die in ihren Aussagen Gefühle abschwächen oder unterdrücken, führen dazu, dass die eigenen Gefühle abgewertet werden. Das Kind lernt dadurch, dass Gefühle etwas sind, was es zu vermeiden gilt, da es nicht ernstgenommen wird. Nicola Schmidt weist auf aktuelle Ergebnisse der Hirnforschung hin, die gezeigt haben, dass bei emotionalen und sozialen Schmerzen die gleichen Areale im Gehirn aktiviert werden wie bei körperlichem Schmerz.

Tipps zum Thema „Gefühle verstehen“

  • mit dem Kind Bilderbücher anschauen, die sich mit dem Thema befassen
  • Gefühlskarten benutzen, die verschiedene Emotionen zeigen
  • Spiele für Kinder: Welche Gefühle kenne ich? Wie sieht der passende Gesichtsausdruck zum Gefühl aus? Wo befindet sich das Gefühl im Körper? Welches Gefühl stelle ich dar?
  • Wut-Thermometer: Gemeinsam mit dem Kind ein Thermometer malen oder basteln, auf dem das Kind zeigen kann, wie groß seine Wut gerade ist.
  • Wut-Lauf: Bewegung baut Stress ab und hilft dabei Gefühle zu regulieren. Das Kind hat beim Wut-Lauf die Möglichkeit die Größe seiner Wut zu zeigen, indem es eine bestimmte Strecke läuft, z.B. die Länge des Zimmers.
  • Wut-Tiere: Wie sieht das Wut-Tier des Kindes aus? Was macht es für Geräusche?  Im Anschluss kann das Kind sein Wut-Tier spielen und ausleben.
  • Regentropfen-Bild basteln: Auf die Regentropfen aus Ton werden Sachen geschrieben, die einen schon einmal traurig gemacht haben, z.B. ein Streit. Gleichzeitig kann darüber gesprochen werden, was die Kinder getröstet hat.
  • Dem Kind erklären, dass Angst eine wichtige Funktion ist, um vor Gefahren zu warnen. Ab und zu passt sie aber zu sehr auf, so dass wir Dinge, die wir gerne machen würden, nicht tun. Das Kind kann sich ein "Angstmännchen" ausdenken, das es wegschicken kann, wenn es Angst bekommt.
  • Mutsteine basteln oder bemalen, die man betrachtet oder in Hand nimmt, wenn man Angst hat.

Eltern und Gefühle

In ihrem Buch Mama, nicht schreien! Liebevoll bleiben bei Stress, Wut und starken Gefühlen betonen die Autorinnen Jeannine Mik und Sandra Teml-Jetter, dass Kinder einen Erwachsenen brauchen, der sich nicht in den Gefühlsstrudel, den das Kind gerade durchmacht, hineinziehen lässt, einen Erwachsenen, der so mit sich selbst verbunden ist, dass er die Gefühle des Kindes begleiten und aushalten kann.

Wie wir mit unseren Gefühlen umgehen, haben wir in unserer Kindheit erlernt. Menschen, deren Eltern in der Kindheit Gefühle zuließen und offen damit umgingen, haben als Erwachsene oft einen besseren Zugang zu ihren Emotionen als jene, deren Eltern das Verdrängen oder Unterdrücken von Gefühlen vorlebten.

Jeder von uns hat seine Wut wahrscheinlich schon mal heruntergeschluckt, um Ärger zu vermeiden. Oder wir sind plötzlich explodiert und haben Dinge gesagt, die einem später leidtun. Schwierig wird es, wenn dies keine Einzelfälle sind, sondern Verhaltensmuster, die immer wieder zum Zuge kommen. Dann ist es wichtig, genau hinzuschauen, woher diese starken Reaktionen kommen, wie damit umgegangen werden und vor allem was in solchen Situationen hilfreich sein kann. Mitunter ist auch professionelle Hilfe erforderlich.

Quellen:
Udo Baer und Gabriele Frick-Baer: Das große Buch der Gefühle. Beltz, 2018 (5. Auflage).
Petra Bartoli y Eckert und Ellen Tsalos-Fürter: Weg mit der Wut! 101 Spiele zur Konflikt- und Gefühlsbewältigung. Verlag an der Ruhr, 2011.
Alexandra Köhler: Echte Nähe zum Kind. Wie Eltern zu ihren Gefühlen finden und so ein harmonisches Familienleben ermöglichen. Kösel, 2022.
Jeannine Mik und Sandra Teml-Jetter: Mama, nicht schreien! Liebevoll bleiben bei Stress, Wut und starken Gefühlen. Kösel, 2019.
Nicola Schmidt: artgerecht. Das andere Kleinkinderbuch. Kösel, 2018.
www.kindergesundheit-info.de
Stiftung Lesen - Begleitheft Gefühle