Baby verstehen – Bindung und Grundbedürfnisse

Vater mit Baby auf Arm

Ein Kind braucht sichere emotionale Bindungen, in denen es sich mit seinen Bedürfnissen verstanden, geliebt und geschützt fühlen kann. Von dieser sicheren Basis aus kann das Kind die Welt um sich herum erkunden und neue Erfahrungen machen. Von Geburt an verfügen Kinder über ein System von Signalen, mit dem sie Bindungsverhalten zu einer oder mehreren Personen zeigen. Durch Weinen, Nähe-Suchen oder Anklammern macht das Kind auf ein Grundbedürfnis aufmerksam.

Warum ist die Bindung wichtig?

Die Bindungsforschung hat gezeigt, dass die Mutter in der Regel als erste Bezugsperson im Leben eines Säuglings gilt. Doch auch zu anderen Menschen in seiner Umgebung baut das Baby tragfähige Bindungen auf: zum Vater, zu Geschwistern oder zu den Großeltern. Gerade in den ersten Jahren sind Kinder am offensten für neue Bindungen: Die Art und Weise, wie Kinder Beziehungen zu anderen Menschen erleben, hat Einfluss auf ihr Verständnis der Welt und gilt als Grundlage für alle späteren Erfahrungen.

Frau küsst Tochter auf Stirn

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Dies beeinflusst auch ihr Zusammenleben mit anderen Kindern und Erwachsenen. Kinder, die mehrere positive Bindungspersonen haben, können mit Stress und Konflikten besser umgehen. Außerdem können sie sich gut in andere hineinfühlen, eine Grundvoraussetzung dafür, selbst gute Bindungen mit anderen aufbauen zu können.


Welche Grundbedürfnisse gibt es?

Wenn ein Baby auf die Welt kommt, ist es vollkommen auf die Fürsorge anderer Menschen angewiesen, um zu überleben. Es kann sich nicht selbst versorgen und sich nicht selbst vor Gefahren schützen. Dazu braucht es die Eltern, die sich seiner Grundbedürfnisse annehmen. Das Baby möchte Nähe spüren, gehalten und getröstet werden. Es braucht Menschen, die es füttern, es in den Schlaf wiegen, es vor Gefahren schützen, ihm Trost spenden, mit ihm spielen und sich ihm zuwenden. Kurz gesagt: Menschen, die seine Grundbedürfnisse erkennen und sie erfüllen.

Mutter hält schreiendes Baby auf Arm

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Das Baby teilt in den ersten Lebensmonaten seine Bedürfnisse und Wünsche lautstark mit. Das Schreien ist sozusagen die stärkte Signalform, um auf ein Grundbedürfnis hinzuweisen. Da ein Säugling nicht sprechend auf die Welt kommt, muss er andere Wege finden, sich mitzuteilen. Wenn die Bedürfnisse des Babys erfüllt werden, antwortet es mit Wohlbefinden und Zufriedenheit. Das Baby hat gelernt, dass es sich auf die Fürsorge seiner Bezugsperson verlassen kann. Zudem wird durch die Körpernähe das Bindungshormon Oxytocin im Körper freigesetzt. Das Hormon trägt zu einer gesunden Bindung zwischen Eltern und Kindern bei.

Erkundungsdrang unterstützen

Die Bedürfnisse sind je nach Entwicklungsstufe eines Kindes unterschiedlich. Mit vier Monaten wird das Baby zunehmend aktiv. Durch Krabbeln und Greifen erkundet es seine Umwelt. Beim Erkunden wird es von seinen Eltern unterstützt, indem sie Gefahren aus dem Weg räumen und seine Freude an Bewegung unterstützen. Dadurch dass die Bezugspersonen die Signale des Kindes richtig verstehen und entsprechend reagieren, lernt das Kind seine Bedürfnisse und Gefühle für sich wahrzunehmen und damit umzugehen.

Kind an Pfütze

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Die Bezugsperson ist der sichere Hafen, von dem aus das Kind die Welt erkundet. Bei Unsicherheit kehrt es zurück zur Bezugsperson, versichert sich der Fürsorge, holt sich ein Stück Sicherheit, bis die Neugierde über etwas in der Umgebung wieder den Erkundungsdrang auslöst.

Mit etwa 18 Monaten entwickelt sich die Selbstständigkeit eines Kindes. Das Kind läuft, teilt sich sprachlich mit und stellt Fragen. Darüber hinaus beginnt es, seine eigene Meinung auszudrücken und sich als eigene Person zu erleben. Dies kann mit Trotzanfällen einhergehen. Hierbei gilt es, gemeinsame Lösungen zu finden, die dem Kind den Willen nicht verbieten, sondern Freiraum für Entscheidungen geben.

Unsichere Bindungen

Kinder, die erleben, dass ihre Bedürfnisse manchmal erfüllt, manchmal aber zurückgewiesen oder bestraft werden, bauen eine unsichere-widersprüchliche Bindung zur Bezugsperson auf. Da sie sich nicht auf die Reaktion der Bezugsperson verlassen können, schwankt ihr Inneres zwischen der Suche nach Nähe und dem Impuls, sich zurückzuziehen. Von einer unsicher-vermeidenden Bindung spricht man, wenn auf die Grundbedürfnisse von Kindern nur unzureichend eingegangen wird, und diese sich zurückgewiesen und missverstanden fühlen. Sie wenden sich innerlich und äußerlich von der Bezugsperson ab, ziehen sich zurück und gehen in Abwehrhaltung.

Mit viel Geduld und Einfühlungsvermögen für die Bedürfnisse des Kindes können neue Bindungen aufgebaut werden, damit es neue Erfahrungen zulassen kann. Da Beziehungs- und Bindungserfahrungen nie abgeschlossen sind, können sogar traumatische Erfahrungen verarbeitet werden, wenn Kinder die Möglichkeit haben, eine vertrauensvolle Beziehung zu einer Person aufzubauen.

Baby schaut Eltern an

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Wenn unsere kleinen Babys abhängig und hilflos sein dürfen und wir ihnen alles geben, was sie in dieser Phase so dringend brauchen, werden sie später stärker, glücklicher und - unglaublich, aber wahr - unabhängiger. - Nicola Schmidt, Artgerecht. Das andere Baby-Buch.


Pflegeverhalten der Eltern

In die Erziehung unserer Kinder fließen auch viele eigene Erfahrungen und Erlebnisse mit ein. Unbewusst übernehmen wir als Eltern Verhaltensmuster, die uns in der Kindheit geprägt haben. Wie oft hat man sich schon dabei erwischt, wie man etwas gesagt hat, dass bereits von den Eltern ausgesprochen wurde? Eltern sollten über ihre eigene Erziehung, ihre Einstellungen und Gefühle nachdenken. Fragen Sie sich, inwiefern eigene Beziehungserfahrungen in die eigene Erziehung mit hineinspielen.


Wie baut man eine gute Bindung zum Kind auf?

Kommunikation

Eine gute Bindung zum Kind wird über den Gesichtsausdruck, Gesten und die Haltung aufgebaut. Durch den Blickkontakt und ein Lächeln signalisiert man dem Kind "Ich sehe dich." Die Bezugsperson lässt sich in diesem Moment völlig auf das Kind ein. Kleine Kinder sind oft überwältigt von äußeren Eindrücken und den eigenen Gefühlen. Das Halten und Trösten beim Weinen helfen beim Verarbeiten der Situation.

Mutter legt Kind in die Wiege

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Einfühlsamkeit/Feinfühligkeit

Wer sich in sein Kind einfühlen kann, nimmt die Gefühle und Bedürfnisse des Kindes wahr. Wenn das Kind früh erfährt, dass seine Gefühle richtig verstanden werden, kann eine sichere Bindung zwischen Kind und Bezugsperson entstehen. Leider gibt es immer noch Menschen, die Feinfühligkeit als "Schwäche" ansehen und denken, dass ein einfühlsamer Umgang mit dem Kind dieses zu sehr "verwöhnt". Dabei schafft das Nichtreagieren auf Bedürfnisse in den ersten Lebenswochen erst die Voraussetzung für die Entwicklung vieler Ängste. Einfühlsamkeit ist eine wichtige soziale Kompetenz, die für das Miteinander im Leben von großer Bedeutung ist.

Zuhören und Zuwenden

Das aktive Zuhören drückt Wertschätzung aus. Das Kind wird mit seinen Gefühlen, Gedanken und Sichtweisen ernstgenommen. Wichtig ist es, dem Kind zu zeigen, dass man für es da ist und ihm die ganze Aufmerksamkeit widmet: Lass dir Zeit, ich höre dir zu. Auf den Säugling übertragen, bedeutet dies, seine Bedürfnisse wahrzunehmen und zu erfüllen. Babys und Kleinkinder lernen auf diese Weise, dass sie sich bei Problemen an ihre Bezugsperson wenden können.

Wahrnehmen und Spiegeln

Bezugspersonen sind für Kinder wie Spiegel. Jede Reaktion der Bezugsperson erzeugt bestimmte Gefühle beim Kind, anhand deren sich das Kind ein Urteil über sich selbst bildet. Auf diese Weise entwickelt sich das Selbstwertgefühl. Erlebt ein Kind zu viel Unverständnis oder Ungerechtigkeit, beeinträchtigt dies die Entwicklung von Vertrauen und Einfühlungsvermögen gegenüber anderen. Auf Befehle, Warnungen, Drohungen oder Kritik reagieren Kinder mit Rückzug von der Bezugsperson oder sie leisten still oder laut Widerstand. Da sie sich im Spiegel ihrer Bezugspersonen selbst negativ sehen, lernen sie sich selbst abzuwerten. Deshalb ist es wichtig, dem Kind die richtigen Signale zu vermitteln, so dass es ein Gefühl für die eigenen Bedürfnisse entwickeln kann.

Mutter und Tochter lächeln sich an

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Ich-Aussagen

Aussagen in der Ich-Form sind besonders wichtig, da das Kind lernt, dass andere Personen Gefühle und Gründe für bestimmte Anliegen haben. Das Kind hat die Möglichkeit, die Perspektive der anderen Person einzunehmen. So kann sich das Empathieempfinden entwickeln. Ich- Aussagen übermitteln in klarer und verständlicher Form Grenzen oder Regeln. Statt Befehle zu erteilen, werden Handlungsmöglichkeiten angeboten.

Begleiten

Begleiten bedeutet, sich auf die Fähigkeiten und Möglichkeiten eines Kindes einzustellen. Es weder zu überfordern noch zu unterfordern. Jedes Kind macht seine eigene individuelle Entwicklung durch. Der Vergleich mit anderen Kindern oder die eigenen Ansprüche als Erwachsener sollten außen vor gelassen werden. Was Kinder brauchen sind eine altersentsprechende Förderung ihrer Fähigkeiten sowie Unterstützung beim Erkunden der Welt um sie herum.

Dies hat auch die Hirnforschung erkannt: Für die Entwicklung des kindlichen Gehirns ist ein lebendiger Austausch mit anderen Menschen notwendig. Liebevoller Kontakt, Wohlbefinden und altersgerechte Informationen schaffen im Hirn erst die Voraussetzung für das Lernen.

Gemeinsame Erlebnisse im Alltag

Eltern oder Bezugspersonen sind auch immer Vorbilder für das Kind. Gemeinsame Erfahrungen im Alltag geben dem Kind die Möglichkeit zum Erforschen der Welt und erwecken die Neugierde des Kindes. Das Miteinbeziehen in alltägliche Handlungen vermittelt den Kindern zudem Selbstvertrauen. Mangelndes Interesse am Kind oder auch überbehütendes Verhalten führen zu einem Mangel an Erfahrung. Das Kind kann sich nicht austesten, lernt weniger Neues kennen und zeigt weniger Interesse an seiner Umwelt.

Vater hält Kind in Armen

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Wenn alles zu viel wird

Gerade als frisch gebackene Eltern ist man schnell überfordert. Da kann es passieren, dass Eltern an ihre Grenzen stoßen und sich fragen, ob sie alles richtig machen. Auch wenn ein Baby viel schreit und weint, ist dies sehr anstrengend. In solchen Situationen ist es wichtig, sich professionelle Hilfe von außen zu holen. Denn durch die Überforderung kann sich eine innere Distanz zum Baby aufbauen, wodurch der Aufbau einer sicheren Bindung zwischen Kind und Eltern schwerer fällt.

Das Haus der Familie hilft Ihnen gerne weiter, wenn Sie in dieser Hinsicht Unterstützung brauchen. Die Ehe-, Erziehungs- und Lebensberatung des Diakonischen Werkes im Ev. Kirchenkreis bietet regelmäßig Online-Veranstaltungen zum Thema an. Einmal im Jahr findet online und in Präsenz die Veranstaltung "Elternführerschein" statt.

Um Kindern eine gesunde Entwicklung und ein gewaltfreies Aufwachsen zu ermöglichen, unterstützen die Frühen Hilfen Eltern und werdende Eltern bei Beziehungs- und Erziehungsfragen. Organisiert sind die Frühen Hilfen in lokalen Netzwerken, in denen Kinder- und Jugendhilfe, Ärzt*innen, Schwangerschafts- und Erziehungsberatungen sowie Frühförderung zusammenarbeiten. In den lokalen Netzwerken arbeiten die Fachkräfte eng zusammen. Die Frühen Hilfen sind kostenlose Angebote für Eltern ab der Schwangerschaft und für Familien mit Kindern bis 3 Jahre.

Literaturquellen:
Becker-Stroll, Fabienne: "Bindung - Basis der sozial-emotionalen Entwicklung" in: Kleinstkinder in Kita und Tagespflege.
Gaca, Anja Constance u. Susanne Mierau: Mein Schreibaby. Verstehen und Begleiten. GU, 2018.
Neuß, Norbert: Grundwissen Krippenpädagogik. Cornelsen, 2011.
Schmidt, Nicola: artgerecht. Das andere Baby-Buch. Kösel, 2015.
Zimmer, Prof. Dr. Renate: "Von Anfang an im Dialog" in: Kleinstkinder in Kita und Tagespflege.