Du kannst darüber reden

Kinder vor sexuellem Missbrauch schützen

„Die Prävention von sexualisierter Gewalt ist kein einmaliges Projekt, sondern eine alltägliche Haltung, die unseren Kindern zeigt, dass sie uns wichtig sind.“ Dieser Satz steht in der Broschüre für Eltern zur bundesweiten Initiative „Trau Dich!“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, gefördert vom Bundesfamilienministerium.

Der Satz macht deutlich, wie wichtig es ist, dass Eltern oder Vertrauenspersonen sich mit dem Thema Sexueller Missbrauch auseinandersetzen. Kinder brauchen ein vertrauensvolles und sicheres Umfeld, dass ihnen das Gefühl gibt, dass sie ernst genommen werden. Dass da immer jemand ist, an den man sich wenden kann, wenn einen etwas bedrückt. Dazu gehört auch, dass Kinder lernen, über ihre Gefühle zu sprechen und ihre eigenen Grenzen kennenzulernen sowie von Eltern oder Vertrauenspersonen über Liebe, Sexualität und ihre Rechte aufgeklärt werden.

Erkennen und Verstehen

Der erste Schritt ist gemacht, wenn man sich bewusst wird, dass sexuelle Übergriffe, Grenzverletzungen und Missbrauch in der Familie, im sozialen Umfeld oder im Internet geschehen. Täter oder Täterinnen stammen aus allen sozialen Schichten und aus allen Kulturkreisen. Sexueller Missbrauch wird hauptsächlich von Männern begangen. Der Anteil von Frauen als Täterinnen liegt bei 10%. Im folgenden Text wird das Wort "Täter" für Männer und Frauen, die sexuelle Straftaten begehen, benutzt.

 

Laut Polizeistatistik sind bei 1/3 der angezeigten Fälle die Täter jünger als 21 Jahre. Der Großteil der Täter stammen aus der Familie oder dem näheren, sozialen Umfeld der Familie. Oft sind es Vertrauenspersonen, die unter Ausnutzung von Vertrauen, Abhängigkeiten oder Unwissenheit, ihre Macht und Autorität ausspielen, um ihre eigenen Bedürfnisse auf Kosten des Kindes zu befriedigen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, dass bis zu eine Million Kinder und Jugendliche in Deutschland bereits sexuelle Gewalt durch Erwachsene erfahren mussten oder erfahren. Das sind rund ein bis zwei Kinder in jeder Schulklasse. Da es aber keine einheitlichen Studien zum Thema sexueller Missbrauch in Deutschland gibt, und auch die Polizeistatistik nur die Fälle auflistet, die angezeigt werden, wird von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen.

Strategien der Täter

Sexueller Missbrauch ist eine Form von Gewalt. Deshalb wird auch von sexualisierter Gewalt gesprochen. Strafrechtlich verletzen sexuelle Handlungen die sexuelle Selbstbestimmung eines Menschen. Der Täter versucht das Vertrauen des Kindes zu gewinnen. Durch dieses manipulative Verhalten nähern sich die Täter dem Kind: Sie erfüllen Wünsche, schenken ihm Aufmerksamkeit, interessieren sich für das Kind.

Kinder selbst spüren, dass ihre Grenzen überschritten werden. Aber meistens schweigen sie über das Geschehene, da sie selbst oft keine Worte für das, was sie erlebt haben, finden. Oder ihr Schweigen über die Tat wird mithilfe von Manipulation, Drohungen oder Gewaltanwendung erzwungen. Die Täter übertragen auf diese Weise die Verantwortung für den sexuellen Missbrauch auf das Kind. Dies löst Schuldgefühle im Kind aus. Aus ihrer Sicht ist dies die einzige Erklärung für das, was ihnen geschehen ist. Kinder können sich ohne Hilfe von außen kaum daraus lösen. Besonders dann, wenn sie auf den missbrauchenden Erwachsenen angewiesen sind und eine starke Verbundenheit zu der Person haben.

Schützen und Stärken

Um als Kind falsches Verhalten einordnen zu können, brauchen Kinder ein Umfeld, dass ihnen Sicherheit und Vertrauen vermittelt. In dem sie Selbstvertrauen entwickeln können, damit sie auch in schwierigen Lebenssituationen Lösungen finden. Dabei spielen besonders der Umgang mit Gefühlen, Grenzen und die eigenen Rechte wichtige Rolle.

Selbstbewusstsein stärken

Alle Gefühle sind wichtig und richtig, auch wenn sie sich nicht angenehm anfühlen. Gefühle wie Freude, Glück und Zufriedenheit sind uns willkommen, aber Wut oder Traurigkeit fühlen sich unangenehm an. Deshalb möchten wir diese Gefühle schnell wieder loswerden oder gar nicht erst fühlen. Aber auch unangenehme Gefühle sind wichtig und sollten angenommen werden. Denn sie können helfen, um Klarheit über Situationen und Begegnungen zu erhalten.

 

Unsere Gefühle senden uns wichtige Signale. Sie funktionieren wie eine Ampel, sozusagen eine "Gefühlsampel". Ein "Ja" in uns gibt uns grünes Licht. Wir fühlen uns wohl und sicher. Wenn wir nicht ganz wissen, was eigentlich los ist, schaltet die Ampel auf gelb. Kommt jemand unserer inneren Grenze zu nahe oder übertritt diese, spüren wir ein "Nein" ins uns, die Ampel springt deutlich auf rot.

Niemand darf ein Kind zum Kuscheln, Streicheln oder Küssen zwingen, wenn es das nicht möchte. Niemand darf einem Kind deshalb Angst machen, ihm wehtun oder es verunsichern. Dabei ist es egal, ob es sich um Erwachsene oder Jugendliche handelt. Wenn sich Berührungen nicht gut anfühlen, nein sagen, sich zur Not lauthals wehren. Nur man selbst bestimmt, wer den eigenen Körper berührt oder ob man einen anderen berühren möchte. Es ist nie die eigene Schuld. Die Person, die die Grenzen übertritt, ist schuld.

Schlechte Geheimnisse dürfen weitererzählt werden

Kindern können lernen, zwischen guten und schlechten Geheimnissen zu unterscheiden. Ein schlechtes Geheimnis ist, wenn eine Person sagt, dass es nicht weitererzählt werden darf, da ansonsten etwas Schlimmes passiert. Machen Sie ihrem Kind klar, dass schlechte Geheimnisse weitererzählt werden können, z.B. an Vertrauenspersonen, wie Eltern, Lehrer:innen, Sozialarbeiter:innen etc. Jedes Kind hat das Recht zu reden und sich Hilfe zu holen. Auch ein anonymer Anruf, z.B. bei der Nummer gegen Kummer ist möglich.

Reden und zuhören

Mit Kindern ins Gespräch zu kommen ist manchmal gar nicht so einfach. Manche Kinder plaudern munter drauf los, andere sind verschlossen, schüchtern und brauchen mehr Zeit, bis sie sich öffnen. Wichtig ist es, dem Kind zu zeigen, dass man für es da ist und ihm die ganze Aufmerksamkeit widmet: Lass dir Zeit, ich höre dir zu. Wenn Eltern merken, dass ihr Kind etwas auf dem Herzen hat, dann kann "Möchtest du darüber sprechen?" ein guter Anfang für ein Gespräch sein.

Altersgerechte Aufklärung

Wichtig für die Prävention von sexuellem Kindesmissbrauch ist zudem eine altersgerechte Aufklärung über Liebe, Sexualität und den eigenen Körper. Geben Sie Jungen und Mädchen eine Sprache für ihren Körper, indem sie Körperteile benennen. Beziehen Sie den ganzen Körper dabei mit ein und benennen Sie die Geschlechtsteile als Penis, Hoden, Vulva und Klitoris. Kinder, die über ein altersgerechtes Wissen zur Sexualität und zu ihrem Körper verfügen, und ihre Eltern als Gesprächspartner erleben, wenden sich eher an die Eltern oder eine andere Vertrauensperson, wenn sie sexuellen Missbrauch erleben.

Sicher im Internet unterwegs

Dazu gehört auch die Aufklärung über die Gefahren des Internets, die von Kindern oft unterschätzt werden. Täter benutzen das Internet, um über Chats oder soziale Medien Mädchen und Jungen kennenzulernen. Sie teilen Daten, Fotos oder Videos, ohne sich über die Konsequenzen bewusst zu sein. Eltern sollten sich über Gefahren und Schutzmaßnahmen informieren und ihre eigene Medienkompetenz hinterfragen. Klären Sie Ihr Kind über Bildrechte auf und erklären Sie, warum es gefährlich sein kann, eigene Daten weiterzugeben oder sich mit fremden Personen zu treffen. Die Initiative "Schau hin!" und klicksafe.de vermitteln Informationen zum Thema

Hinschauen und Handeln

Trotz aller Schutzmaßnahmen kann es passieren, dass ein Kind sexuell missbraucht wird. Wenn Missbrauch stattgefunden hat, ist es das wichtigste dem Kind zu glauben und gemeinsam die nächste Schritte zu überlegen. Um das Kind zu verstehen, kann es hilfreich sein, sich in die Situation des Kindes zu versetzen. Es fühlt sich ohnmächtig und schutzlos. Ein Mensch, dem es vertraut, hat ihm Dinge angetan, für die das Kind keine Worte hat. Das Kind hat Angst, dass ihm nicht geglaubt wird.

Kinder brauchen Erwachsene, die ihnen Halt geben

Die meisten Kinder schweigen aus Angst oder Scham, sie wollen die Eltern oder den Täter schützen. Da es keine spezifischen Symptome oder Verhaltensweisen gibt, die auf sexuellen Missbrauch hindeuten, ist es schwierig, aus dem Verhalten des Kindes auf sexualisierte Gewalt zu schließen. Ihre Not zeigen sie durch unterschiedliche Verhaltensweisen. Manche Kinder ziehen sich zurück, andere zeigen sogenannte sexualisierte Verhaltensweisen. Sexualisiertes Verhalten des Kindes wird vom Gegenüber als grenzüberschreitend, zu nah oder intim wahrgenommen.

Wenn das Verhalten des Kindes auffällig ist und man vermutet, dass es sexueller Missbrauch sein könnte, sollte man beim Kind achtsam nachfragen: "Mir ist aufgefallen, dass du gar nicht mehr Person X besuchen möchtest. Gab es dort etwas, was dir nicht gefallen hat?" oder "Ich habe das Gefühl, dass es dir nicht gut geht. Magst du mir erzählen, was los ist?" Für jüngere Kinder kann eine bildlichere Sprache benutzt werden.

Geduld und Besonnenheit

Es geht darum, mit Geduld und Vorsicht neues Vertrauen bei einem Kind aufzubauen, das sein Vertrauen verloren hat. Wer sich damit schwer tut, sollte professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Gerade der Impuls, sofort zu handeln, kann zu verhängnisvollen Fehlern führen, die dem Kind mehr schaden als helfen. Ohne ausreichenden Schutz sollte ein Täter nicht konfrontiert werden. Wenn die Vermutung Gewissheit wird, suchen Sie sich Hilfe bei Freunden, dem Jugendamt oder der Polizei, um die Familie zu schützen.

Hilfe annehmen

Alle weiteren Schritte sollten mit dem Kind abgesprochen werden. Es kostet ein Kind sehr viel Kraft und Mut sich anzuvertrauen, besonders, wenn der Missbrauch in der Familie passiert. Wenn Hilfe von außen geholt wird, sollte das Kind darüber Bescheid wissen, dass dies geschieht, und dass dies Personen sind, die bereits Kindern in der gleichen Situation geholfen haben. Im Falle einer Anzeige ist es leider notwendig, dass das Kind einer fremden Person vom Missbrauch erzählen muss. Bei Missbrauch innerhalb der Familie kann vom Zeugenverweigerungsrecht Gebrauch gemacht werden.

Ob Jugendamt, Polizei oder Fachberatungsstellen, alle Institutionen versuchen die Belastungen für das Kind so gering wie möglich zu halten. Es wird auf eine kindgerechte Befragung geachtet, bei der auch das Recht auf Begleitung durch eine Vetrauensperson besteht. Das Jugendamt hat die gesetzliche Aufgabe, Kinder und Jugendliche vor Gefährdungen zu schützen. In Notsituationen können sich Kinder und Jugendliche auch beraten lassen, ohne dass die Eltern informiert werden müssen. Nur in aktuen Gefährdungssituationen nimmt das Jugendamt ein Kind "in Obhut".

Stabilität und Sicherheit geben

Nach Bekanntwerden eines Missbrauchs gerät das Leben für die betroffenen Kinder sowie für die Familie, die Eltern und die Geschwister aus dem Fugen. Beratungsstellen, die Erfahrung im Umgang mit sexuellem Missbrauch haben, können unterstützen. Bei der Beratung stehen die Bedürfnisse der Ratsuchenden im Vordergrund. Neben der Unterstützung von außen hilft ein geregelter Alltag mit Schule, Hobbys und Ritualen dabei, Sicherheit und Stabilität zu geben. Positive Erlebnisse sind wichtig, um dem Kind klarzumachen, dass es mehr gibt im Leben als die Erfahrung eines sexuellen Missbrauchs.

Anlaufstellen:

www.trau-dich.de - Initative der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
www.multiplikatoren.trau-dich.de - Praxishilfe für bundesweiten Initiative zur Prävention des sexuellen Missbrauchs
www.hilfe-portal-missbrauch.de - Angebot der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs
www.kein-raum-fuer-missbrauch.de - Initiative der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindermissbrauchs
Nummer gegen Kummer 116 111
Hilfetelefon sexueller Missbrauch 0800 22 555 30
Schutzkonzept zur Prävention von sexualisierter Gewalt des Ev. Kirchenkreis Wied

Quellen:
Broschüre "Trau dich! Bundesweite Initiative zur Prävention des sexuellen Kindesmissbrauchs. Ein Ratgeber für Eltern." Herausgegeben von der Bundeszentrale zur gesundheitlichen Aufklärung (BZgA).
Broschüre "Trau dich! Du kannst darüber reden!" Informationen über sexuellen Missbrauch für Mädchen und Jungen zwischen 8-12 Jahren.