Familienleben in Armut – Was für eine Leistung!

 

Die Jüngste benötigt eine neue Hose, der Älteste braucht 5 Euro Kopiergeld für die Schule und das Geld für den Monat ist fast aufgebraucht. Dann muss eben beim Essen oder den eigenen Bedürfnissen eingespart werden. Der von Verzicht und Mangel geprägte Alltag armer Familien ist eine Herausforderung und kostet Zeit, Kraft und Geld. Was für eine Leistung, den Familienalltag trotz der schwierigen Lage aufrecht zu erhalten.

Mutter hat Tochter auf Arm

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Was macht den Alltag so schwer?

In Deutschland geht man von einer relativen Armut der Familien aus. Relative Armut bedeutet, dass Familien zwar ein Dach über dem Kopf, Essen und Kleidung haben, aber das Einkommen nicht ausreicht, um ein annehmbares Leben zu führen. Menschen gelten als relativ arm, wenn sie weniger als 60 % des mittleren Nettoäquivalenzeinkommens zur Verfügung haben. Am meisten davon betroffen sind Menschen ohne Arbeit, Alleinerziehende mit Kindern unter 18 Jahren, Familien mit Migrationshintergrund und kinderreiche Familien.

Armutsrisiko steigt

Die Corona-Pandemie hat die Armutslage in Deutschland weiter verschärft. Im Durchschnitt liegt die Armutsgefährdungsquote in Deutschland bei 15,9 %  (in Rheinland-Pfalz bei 15,6 %)(2019) und die Tendenz ist steigend. Die Chancen am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen sind in Deutschland ungleich verteilt.

Alltag geprägt von Mangel und Verzicht

Es besteht ein Mangel in verschiedenen Bereichen: die Wohnung ist beengt und guter Wohnraum schwer zu finden, die Bildungschancen sind geringer, die Gesundheit ist anfälliger, die Arbeit niedriger bezahlt oder es gibt keine Arbeit, der Zugang zu digitalen Medien ist erschwert und das Wohnumfeld ist nicht familienfreundlich und Ärzte und öffentliche Einrichtungen schwer erreichbar.

Anerkennung für Leistung zeigen

Viele Familien müssen auf Dinge, die für andere Familien als selbstverständlich angesehen werden, verzichten. Wenn das Geld gerade für das Leben reicht, bleibt nichts übrig für einen Kinobesuch, für einen Urlaub oder ein Hobby. Arme Familien werden oft gesellschaftlich ausgegrenzt. Sie bekommen zu wenig Anerkennung für das, was sie täglich leisten: die Familie zu versorgen mit wenig Geld, die Kinder großzuziehen, mit Arbeitslosigkeit umzugehen oder arbeiten zu gehen für einen Lohn, mit dem man gerade so hinkommt oder der einfach nicht ausreicht. Da führt jede zusätzliche Ausgabe zu Stress und Überforderung.

Mutter mit Maske hält ihr Baby im Arm

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Offene Haltung gegenüber armen Familien

Auf Unterstützung durch Behörden oder Einrichtungen wird lieber verzichtet, als sich entwürdigend behandeln zu lassen. Eine offene und wertschätzende Haltung gegenüber armen Familien hilft jedoch Vorurteile abzubauen und Vertrauen aufzubauen. Andere schämen sich, dass sie nicht genügend Geld haben, um ihre Familie zu versorgen, und dass sie gezwungen sind, auf staatliche Unterstützung zurückzugreifen.

Anträge auf Leistungen oft unverständlich

Als wäre dies nicht schon alles genug, sind Anträge auf Leistungen oft seitenlang und nicht immer verständlich formuliert. Gerade Menschen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, haben Verständnisprobleme und benötigen Hilfe beim Ausfüllen der Anträge. Wobei das Beamtendeutsch auch bei Muttersprachlern Fragezeichen hervorruft. Um Anträge auszufüllen braucht man Zeit, und diese ist bei Alleinerziehenden oder Eltern mit Kindern bereits knapp bemessen.

Antrag mit Stift

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Was sich (arme) Familien wünschen:

  • gute Ernährung und regelmäßige warme Mahlzeiten
  • über Geld verfügen und sparen können
  • Zeit und Ruhepausen, um Kraft zu sammeln
  • Erwerbsarbeit: eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf
  • Mobilität durch eigenes Auto oder Übernahme der Kosten des öffentlichen Nahverkehrs, besonders im ländlichen Raum
  • Schutz und Sicherheit: ein sicheres Wohnumfeld, zentrale Anlaufstellen, Schule und Kindergarten in der Nähe
  • Bildung und Schule: die Chance auf gute Bildung
  • Medien und Bildung: Zugang zu digitalen Medien und guter Umgang damit
  • Spiel und Erholung, Freizeit und Ferien: gemeinsame Familienerlebnisse, Hobbys, Reisen
  • Natur erleben: Aufhalten in der Natur für Familien wichtig; ohne Auto oder Bus-/Bahnanbindung schwer zu erreichen

Quelle: Kinder. Armut. Familie. Alltagsbewältigung und Wege zu wirksamer Unterstützung, Sabine Andresen und Daniela Galic, Bertelsmann-Stiftung, Gütersloh 2015

Was (arme) Familien brauchen

Familien brauchen ihnen gegenüber eine offene, wertschätzende Haltung und ein Verständnis für die Familiensituation. Eine herabwürdigende Behandlung grenzt Familien weiter aus. Das Misstrauen gegenüber offiziellen Stellen wächst auf diese Weise. Ein leichter Zugang zu Informationen, Dienstleitungen und Beratung baut Hemmnisse ab und hilft das Angebote angenommen werden.

Arbeit

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Bildung

Im Bereich der Bildung ist besonders das Bildungs- und Teilhabepaket zu nennen. Darauf hat Anspruch, wer Arbeitslosengeld II oder Wohngeld bezieht. Für die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben werden pro Monat 15 Euro für jedes Kind bis zum 18. Lebensjahr gezahlt. Der Schulbedarf wird mit 174 Euro jährlich bezuschusst. Dabei gibt es 116 Euro im 1. Halbjahr und 58 Euro im 2. Halbjahr. Diese können für jedes Kind bis zum 25. Lebensjahr beantragt werden.

Bildungs- und Teilhabepaket nutzen

Außerdem werden aus dem Bildungs- und Teilhabepaket Tagesausflüge, Klassenfahrten sowie die Mittagsverpflegung bezahlt. Auch die Beförderungskosten werden übernommen, falls es nicht zumutbar ist, diese aus dem Regelsatz zu zahlen. Was die Antragstellung erschwert, ist die Tatsache, dass jede Leistung für sich für jedes einzelne Kind beantragt werden muss. Da kommen bei mehreren Kindern jede Menge Anträge zusammen.

Kind bei Hausaufgaben

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Benötigt werden für die Anträge u.a. die Kindergeldnummer, Bescheide, Rechnungen, Quittungen und Bescheide. Beantragt wird das Bildungs- und Teilhabepaket beim Jobcenter (ALG II) und bei der Kreis- oder Stadtverwaltung (Sozialhilfe, Wohngeld, Kinderzuschlag). Über das Familienportal des Bundes kann der Antrag online ausgefüllt werden.

Wohnen

Bezahlbarer Wohnraum ist schwer zu bekommen. Vermieter stehen Familien mit Kindern bei Wohnungsbesichtigungen oft ablehnend gegenüber. Da ist es schwierig eine neue Wohnung zu finden. Wichtigster Ansprechpartner, wenn die Wohnung zu klein oder zu teuer ist, ist Wohnungsbaugesellschaft. Weitere Möglichkeiten sind das Nachfragen bei Vermieter oder in der Nachbarschaft, Wohnungsbörsen von Städten und Gemeinden sowie die Wohnungssuche über das Internet.

Bezahlbaren Wohnraum finden

Wer wissen möchte, wie Energie beim Wohnen eingespart werden kann, kann sich an die kostenlose Energieberatung wenden. Die Energieberatung der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz findet jeden 4. Donnerstag im Monat von 15:00 bis 18:00 Uhr nach telefonischer Terminvereinbarung unter Tel. 02689-291-34 in der Verbandsgemeindeverwaltung Dierdorf statt. In Rengsdorf können Sie sich jeden 2. Donnerstag im Monat von 15:00 bis 18:00 Uhr über Energiekosten beraten lassen.

Essen

Die gemeinnützigen Tafeln schaffen eine Brücke zwischen Überfluss und Mangel. Die ehrenamtlichen Helfer*innen der Tafeln sammeln überschüssige Lebensmittel im Handel und bei Herstellern ein und verteilen diese an Menschen, die auf staatliche Transferleistungen angewiesen sind.

Leerer Kühlschrank

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Die Tafel Puderbach/Dierdorf ist dienstags und freitags von 13:00-13:30 geöffnet. Ausgabekarten können über die Verbandsgemeindeverwaltung Puderbach beantragt werden. Unterstützt werden Personen, die Arbeitslosengeld II, Grundsicherung oder Sozialgeld erhalten, eine geringe Rente oder ein geringes Einkommen haben oder Asylbewerber sind. Die Tafel Altenkirchen ist für Altenkirchen und Flammersfeld und die Tafel Neuwied für die Stadt Neuwied und Rengsdorf-Waldbreitbach zuständig.

Günstige Rezepte, zusammengestellt vom Diakonischen Werk Neuwied gibt es hier.

Kleidung/Hausrat

Laut Medien und Zeitung liegt Second-Hand-Kleidung gerade im Trend. Für viele ist Second-Hand aber kein Modetrend, sondern eine Notwendigkeit. Besonders Familien benötigen für Kinder, die wie im Handumdrehen wachsen, stets neue Sachen zum Anziehen. Günstige Kleidung für die ganze Familie kann in Kleiderkammern, auf Flohmärkten, in Second-Hand-Läden, auf Basaren oder im Internet erworben werden. Eine Schwangeren-und Erstausstattung kann beim Jobcenter oder über die Erziehungs- und Familienberatungstellen bei der Stiftung Familie in Not beantragt werden.

Logo Kinderbunt Second Hand

© Diakonie Neuwied

Kinderbunt Second-Hand im Haus der Familie Puderbach, Mittwoch, 15:00 - 16:30 Uhr und Donnerstag 10:00 - 12:o0 Uhr, Mittelstraße 7, 56305 Puderbach

TINA - Kleine, Wäsche, Hausrat und vieles mehr, Donnerstag 12:00 - 17:00 Uhr und Freitag 13:30 - 15:00 Uhr, St. Marien, Reichensteiner Weg 7, 56305 Puderbach

"Kleider und mehr" und "Fahrrad- und Spielwarenbörse" im Diakonischen Werk im Ev. Kirchenkreis Wied, Montag und Dienstag von 13:30 - 15:30 Uhr sowie Donnerstag von 09:00 - 11:00 Uhr, Rheinstraße 69, 56564 Neuwied

DRK Ortsverein Rengsdorf - Kleiderkammer, Montag 15:00 - 16:30 Uhr und Mittwoch, 10:00 - 12:00 Uhr, Westerwaldstraße 34 (an der Rückseite der Verbandsgemeindeverwaltung)

möbel und mehr Altenkirchen, Montag - Freitag 09:00 - 18:00 Uhr, Samstag  09:00 - 14:00 Uhr, Rathausstraße 2 (früher Schuhland) 57610 Altenkirchen

Neuwieder Sozialkaufhaus, Montag - Donnerstag von 10:00 - 12:30 Uhr und von 13:30 - 16:00 Uhr, Insterburger Straße 7, 56564 Neuwied

Freizeit

Auch in diesem Bereich gibt es Benachteiligungen. Hobbys von Kindern können z.B. nicht unterstützt werden oder ein Urlaub ist nicht möglich, weil das Geld nicht reicht. Dabei wünschen sich Eltern und Kinder gemeinsame Erlebnisse. Und gerade für Kinder sind Sport und Hobbys wichtig, um Selbstvertrauen aufzubauen und Stress abzubauen.

Junge auf Sofa

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Freizeitaktivitäten sind oft teuer

Sportvereine, Musikschulen, Jugendzentren und Kirchen bieten Angebote zur Freizeitgestaltung an. Diese sind zum Teil kostenlos oder können über das Bildungs- und Teilhabepaket bezuschusst werden. Es lohnt sich auf jeden Fall nachzufragen, ob es für Familien mit niedrigem Einkommen Ermäßigungen gibt oder es möglich ist, das Angebot umsonst wahrzunehmen. Mit einem "Sozialausweis" oder einer "Berechtigungskarte" erhält man Rabatte auf den Eintritt von Museen und Schwimmbäder. Die "Berechtigungskarte" erhält man nach Vorlage des ALG II-Bescheides bei der Stadt-/Gemeindeverwaltung.

Urlaub mit der Familie

Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Familienerholung bietet Urlaub für die Familie in Familienferienstätten. Die Corona-Pandemie hat Familien stark belastet. Damit sie wieder Kraft schöpfen können, ermöglicht das Bundesfamilienministerium einen kostengünstigen Urlaub in einer Familienerholungseinrichtung.

Bundesarbeitsgemeinschaft Familienerholung
Urlaub mit der Familie

Entlastung/Sich Hilfe holen

Bei Familienthemen helfen kirchliche Einrichtungen, das Jugendamt, der Kinderschutzbund und der Verein für Alleinerziehende Mütter und Väter e.V. (VAMV) weiter. Die Erziehungs- und Familienberatungsstelle des Diakonischen Werkes in Neuwied ist dazu verpflichtet, Familien zu beraten und ihnen weiterzuhelfen. Auch die Jugendämter bieten Beratung bei Erziehungsfragen, bei Problemen mit dem Unterhalt oder bei Konflikten in der Familie an. Bei Problemen können Sie sich gerne auch an ihre Ortsgemeinde, die Verwaltung oder Ämter wenden.

Das Haus der Familie Puderbach ist als Ort der Begegnung gedacht und steht für alle Generationen offen. Besonders für Familienbelange haben die Mitarbeiter*innen ein offenes Ohr.

Gesundheit

Sei es durch Mangelernährung oder durch psychische Belastungen: Menschen, die in Armut leben, sind anfälliger für Krankheiten. Gesundheitsämter bieten Kurse zur Vorbeugung an. Bei Fragen rund um Rehabilitation und Pflege können Sie sich bei Ärzten, Krankenkassen und örtlichen Pflegestützpunkten informieren. Der Pflegestützpunkt in Puderbach ist für die Verbandsgemeinden Dierdorf, Rengsdorf-Waldbreitbach und Puderbach zuständig.

Kuren helfen bei Überlastung

An Familien richtet sich besonders das Angebot der Mutter-Kind-Kur oder der Vater-Kind-Kur. Mütter kommen an ihre Überlastungsgrenzen, weil sie nicht nur versuchen Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, sondern auch in der Kindererziehung und im Haushalt am meisten Verantwortung übernehmen. Wird die Überlastung zu groß, kann eine Mutter-Kind-Kur helfen.

Frau liegt auf Wiese und entspannt

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Väter, die alleinerziehend sind oder ihrerseits an die Belastungsgrenzen kommen, haben die Möglichkeit eine Vater-Kind-Kur zu beantragen. Weiterhelfen können Ihnen die Beratungsstellen der Diakonie, die Sie bei der Antragstellung unterstützen.

Öffentliche Kinderbetreuung

Ab dem vollendeten 1. Lebensjahr hat jedes Kind einen Anspruch auf einen Kindergartenplatz oder einen Platz bei einer Tagesmutter. Bei Ihrer Verbandsgemeindeverwaltung oder Stadtverwaltung können Sie sich über die Zuständigkeit informieren. Für Familien ist es natürlich von Vorteil, wenn es im Ort einen Kindergarten gibt. Das Jugendamt gibt Auskunft über finanzielle Unterstützung und hilft bei der Vermittlung. Kirchliche Träger vergeben ihre Plätze direkt - fragen Sie also früh genug nach, ob ein Platz frei ist.

Kind spielt im Kindergarten

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Geht das Kind bereits zur Schule, kann die Ganztagsbetreuung genutzt werden, während Sie arbeiten gehen. Schulen und Jugendamt helfen Ihnen auch bei diesem Thema weiter.

Mobilität

Wer ein Auto hat, kann sich selbstständig im Alltag bewegen und ist nicht auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. Besonders auf dem Land ist ein eigenes Auto wichtig, wenn Busse oder Bahnen nicht regelmäßig fahren. Mit dem eigenen Auto sind wiederum Kosten verbunden: Benzin, Reparatur und Versicherung. Aus diesen Gründen wird dann auf ein Auto verzichtet. In den meisten Städten und Gemeinden besteht die Möglichkeit, sich mit dem ALG II-Bescheid vergünstigte Fahrkarten zu kaufen. Auskunft darüber geben Jobcenter, Verwaltungen und Verkehrsbetriebe.

Quellen:
Familien-Leben in Armut - was für eine Leistung, Arbeitsgemeinschaft der Familienorganisationen in Rheinland-Pfalz, 2016 Kinder. Armut. Familie. Alltagsbewältigung und Wege zu wirksamer Unterstützung, Sabine Andresen und Daniela Galic, Bertelsmann-Stiftung, Gütersloh
Armut und Reichtum in Rheinland-Pfalz. Armuts- und Reichtumsbericht der Landesregierung 2020, Hg. v. Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Demografie Rheinland-Pfalz, Mainz 2020