Wenn Papa traurig ist

Umgang mit seelischen Krisen

Laut Studien hat die Hälfte aller Menschen in Deutschland einmal im Leben mit einer seelischen Krise zu tun. Es gibt viele Auslöser: Oft sind es Stress, Sorgen und Konflikte, die zu einer psychischen Erkrankung führen. Doch auch eine genetische Veranlagung, Flucht- oder Kriegserfahrungen können dazu führen. Zu den häufigsten Erkrankungen der Seele zählen Depressionen, Ängste, Zwänge, Suchterkrankungen und Traumata.

Man geht heute davon aus, dass jede vierte bis fünfte Familie davon betroffen ist. Die Betroffenen ziehen sich zurück und versuchen aus Scham und Angst vor Ausgrenzung allein mit ihrem Leiden klarzukommen. Oder sie verleugnen es ganz. Dabei ist ein offener Umgang mit der Erkrankung genauso wichtig wie die Inanspruchnahme von Hilfe. Das Schwierige an einer psychischen Erkrankung ist, dass man sie körperlich nicht sehen kann. Kein Bein ist eingegipst, kein Verband um den Kopf gewickelt und kein Pflaster klebt auf der schmerzenden Stelle.

Illustration einer Frau auf dem Boden sitzend die Arme um die Beine geschlungen den Kopf auf den Knien

© mohamed_hassan/Pixabay

Psychisch erkrankte Eltern versuchen ihre Kinder zu schützen. Sie machen sich Sorgen, dass ihre Kinder auch erkranken können, die Krankheit über die Gene weitergegeben wird. Das Risiko, an einer psychischen Erkrankung zu erkranken, ist erhöht, aber Studien haben bewiesen, dass mehrere Faktoren zusammenkommen müssen, damit dies geschieht. Über 90 % der Kinder von psychisch erkrankten Eltern entwickeln keine seelische Erkrankung. Deshalb ist Prävention wichtig, um das Risiko weiter zu vermindern.

Wie erleben Kinder die Situation?

Kinder sind sehr feinfühlig. Mit ihren unsichtbaren Antennen nehmen sie kleinste Veränderungen im Verhalten ihrer Mitmenschen auf. Wenn die Mutter oft müde ist, nicht gut aus dem Bett kommt oder gereizt ist, merken Kinder dies sofort. Wie würden wir uns fühlen, wenn wir unsere Mutter plötzlich so sehen? Wahrscheinlich ängstlich, weil wir die Situation nicht einordnen können. Wie schlimm muss sich das erst anfühlen, wenn keiner uns erklärt, was da gerade passiert. Hinter vorgehaltener Hand wird leise geflüstert und Blicke ausgetauscht. Ab und zu schnappen wir ein paar Wortfetzen auf.

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Aus diesen Informationen versucht das Kind sich ein vollständiges Bild zusammenzubauen. Aber wie bei einem unvollständigen Puzzle fehlen überall Puzzleteile. Gibt man Kindern alle Puzzleteile, indem man ihre Fragen offen und ehrlich beantwortet und ihnen die Möglichkeit gibt, ihre Gefühle zuzulassen, können sie sich ein sinnvolles Bild zusammensetzen. Passiert dies nicht, schaffen sich Kinder ihre eigenen Erklärungsmuster, um ihre Gefühle und Wahrnehmungen zu verstehen. Sie geben sich selbst die Schuld, ziehen sich zurück oder zeigen Auffälligkeiten in ihrem Verhalten.

Schuldgefühle nisten sich ein

Schuldgefühle sind wie ein lästiges Unkraut. Wenn sie sich erst einmal eingenistet und ausgebreitet haben, lassen sie sich schwer wieder ausrotten. Aus diesem Grund muss man Kindern immer wieder klar machen, dass sie KEINE Schuld an der Erkrankung des Erwachsenen haben und sie geliebt werden, auch wenn die erkrankte Person dies nicht immer zeigen kann.

Illustration eines Kopfes Mann zieht Schnur daraus

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Wenn innerhalb der Familie nicht über Probleme gesprochen wird, tragen Kinder diese auch nicht nach außen. Dazu kommt die Befürchtung, die Eltern zu hintergehen, wenn sie mit jemanden außerhalb der Familie darüber sprechen. Sie kommen in einen Loyalitätskonflikt. Viele Kinder übernehmen außerdem zuhause zusätzliche Aufgaben, weil der Elternteil in der momentanen Situation nicht in der Lage dazu ist, sich um den Haushalt zu kümmern. Die eigenen Bedürfnisse des Kindes treten dabei in den Hintergrund. Das Übernehmen der elterlichen Aufgaben überfordert zusätzlich.

Über die Erkrankung sprechen

So sehr wir unsere Kinder beschützen möchten, wir können sie nicht davor bewahren, dass sie mit Krankheit, Tod oder Schmerz in Berührung kommen. Was wir aber können, ist dieses: Für sie da sein und sie mit ihren Ängsten nicht allein lassen. Deshalb sollte mit Kindern auch über schmerzhafte Themen gesprochen werden. Dafür brauchen Kinder Eltern oder Vertrauenspersonen, die ihnen zuhören, ihre Fragen beantworten und ihnen kindgerecht erklären, warum es dem Vater oder Mutter gerade nicht gut geht. Jemand, der ihnen erklärt, dass es psychische Krankheiten gibt, wie diese heißen und was die Symptome sind. Jemand, der ihnen beisteht,  sich Zeit nimmt, ihnen Vetrauen schenkt und ihre Gefühle, sei es Weinen oder Wut, zulässt. Es sind nie die Informationen, die das Kind überfordern, sondern die Situation, die es nicht versteht.

Illustration einer Mutter mit ihrem Kind sprechend

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Sprachlosigkeit überwinden

Jetzt ist es niemals leicht, über solche Dinge wie psychische Erkrankungen oder Gefühle zu reden. Leider. Wie viel besser wäre es, wenn es ganz normal wäre, auch über schwierige Themen zu sprechen. Aber wie so ein Gespräch mit einem Kind beginnen? Wie die eigene Sprachlosigkeit überwinden? Vielleicht genau damit: Die eigene Unsicherheit zum Ausdruck bringen. Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll. Es fällt mir so schwer, die richtigen Worte zu finden. Das Ganze ist nicht leicht zu erklären, aber für dich möchte ich es versuchen. Ein einfaches: Wie geht es dir damit?

Offenheit schafft Vertrauen

Oft hört man von Erwachsenen folgenden Satz: "Das erklären wir dir, wenn du älter bist." Aus falsch verstandenen Schutzbedürfnis heraus werden Erklärungen in die ferne Zukunft verschoben. Und Kinder fragen sich dann, wann ist denn dieses "älter"? Nachvollziehbare, einfache Erklärungen durch eine Vertrauensperson oder die erkrankte Person selbst brauchen kein bestimmtes Alter. Wichtig ist es, Vertrauen zu schaffen und dem Kind zu vermitteln, dass es gesehen und geliebt wird.

Familienleben mit Krankheit

Das Leben mit einer psychischen Erkrankung ist nicht leicht, weder für die Betroffenen selbst noch für die Familie. Eine Depression, zum Beispiel, kann sich auf verschiedene Weisen zeigen: Anna kann sich nicht dazu aufraffen, die Wohnung aufzuräumen und das Mittagessen zuzubereiten. Thorben dagegen erträgt keinen Lärm und ist schnell gereizt. Und Lisa möchte immer perfekt sein und alles ordentlich haben.

Hilfe annehmen

Die Erkrankung sollte als Teil des Familienlebens angesehen und nicht verheimlicht werden. Je besser eine psychische Erkrankung bewältigt werden kann, umso geringer sind die Auswirkungen auf die Familie und die Kinder. Und bewältigen bedeutet, sich Hilfe zu holen und behandeln zu lassen. Kein Mensch würde sich mit einem gebrochenen Bein weiter zur Arbeit schleppen. Besonders Depressionen und Ängste lassen sich mit Therapie und Medikamenten gut behandeln.

Illustration zeigt Mutter Kind und Vater nebeneinander

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Ein gutes Familienleben ist wichtig für psychisch kranke Eltern genauso wie für die Kinder. Alle in der Familie brauchen Halt, emotionale und praktische Entlastung. Gerade Kinder psychisch erkrankter Eltern übernehmen oft sehr früh "Elternfunktionen" und überfordern sich damit. Wer Hilfe von außerhalb der Familie braucht, sollte diese auch annehmen. Weiter unten haben wir Beratungs- und Hilfsangebote aufgelistet.

Psychisch krank zu sein ist kein Einzelfall

Für Kinder kann es hilfreich sein, zu wissen, dass sie nicht allein sind und es viele Menschen gibt, die psychisch kranke Eltern haben. Zwischen 2-5 Kinder in einer Schulklasse haben einen Vater oder eine Mutter, die an einer psychischen Erkrankung leiden. In Dänemark steht die Aufklärung über psychische Erkrankungen sogar auf dem Lehrplan der Grundschulen. Die Präventivmaßnahme soll helfen, mehr Verständnis zu schaffen und psychische Erkrankungen aus der Tabu-Zone zu holen.

Die erkrankten Eltern selbst halten sich für schlechte Eltern und zweifeln an ihren elterlichen Kompetenzen. Aus Überforderung gehen sie schlecht oder ungerecht mit den Kindern um. Sie haben Angst, dass sie unfähig zur Erziehung ihrer Kinder sind, man ihnen im schlimmsten Fall die Kinder wegnimmt. Auf der anderen Seite sind sie unsicher und neigen dazu, etwas wieder gut machen zu wollen. Dann verwöhnen die Eltern ihre Kinder oder sind übervorsichtig im Umgang mit ihnen.

Illustration einer Frau zwischen zwei Gehirnhälften sitzend Hand greift von oben

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Was kann nun getan werden, um das Familienleben mit Erkrankung für alle Familienmitglieder einfacher zu machen? Kinder sollten wissen, dass die Eltern krank sind und sie nicht schuld daran sind. Dass sie geliebt werden. Eine stabile häusliche Umgebung trotz Erkrankung vermittelt Kindern Sicherheit. In dieser Zeit sind zudem gefestigte Bindungen zu Vertrauenspersonen und Freunden besonders wichtig. Kinder von erkrankten Elternteilen brauchen Auszeiten, um ihre eigenen Bedürfnisse ausleben zu können und Selbstwertgefühl aufzubauen: beim Sport, in der Schule oder mit Freunden.

Die erkrankten Eltern brauchen Unterstützung durch Vertrauenspersonen oder Fachpersonal, die ihre Erziehungskompetenzen sowie  ihr Selbstwertgefühl stärken und  ihnen Unsicherheiten nehmen. Hilfe von außerhalb der Familie sollte zum richtigen Zeitpunkt und in der richtigen Dosierung angenommen werden. In einer Therapie oder durch Hilfsangebote bekommen Eltern die richtigen Werkzeuge an die Hand, um belastende Situationen besser bewältigen zu können.

Umgang mit Gefühlen

Gefühle wie Freude, Glück und Zufriedenheit sind uns willkommen, aber Wut oder Traurigkeit fühlen sich unangenehm an. Deshalb möchten wir diese Gefühle schnell wieder loswerden oder gar nicht erst fühlen. Aber auch unangenehme Gefühle sind wichtig und sollten angenommen werden. Denn sie können helfen, um Klarheit über Situationen zu erhalten. Kinder müssen erleben, dass alle Gefühle okay sind und dass es eine Gemeinschaft nur stärker macht, diese auszudrücken.

Illustration einer Frau auf dem Boden sitzend

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Alle Gefühle fühlen

Manche Eltern finden es schlimm, wenn Kinder weinen, sogar noch schlimmer, wenn Kinder mitbekommen, dass Erwachsene weinen. Wer Gefühle zeigt, wird oft als schwach angesehen. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall: Wer Gefühle zeigt oder anderen Trost gibt oder beisteht, wenn sie Gefühle zulassen, dann ist das ein Zeichen für Stärke. Außerdem ist es nicht besser gemeinsam zu weinen, als nachts allein ins Kissen. Es gibt schließlich niemanden, der immerzu glücklich ist.

Hilfe annehmen

Für psychisch erkrankte Eltern ist eine individuelle Therapie, angepasst an ihre Bedürfnisse und an ihre Erkrankung, das Wichtigste. Erste Anlaufstelle sollte die Hausarztpraxis sein, die an den passenden Facharzt, z.B. einen Psychiater, oder an einen Therapeuten weitervermittelt. Neben einer ambulanten Therapie besteht auch die Möglichkeit eines stationären oder teilstationären Aufenthaltes in einer Klinik oder einer Tagesklinik.

Illustration von Arzt und Mann auf Sofa

© mohamed_hassan/Pixabay

Wer Kinder im Alter bis 3 Jahre hat, kann die Frühen Hilfen in Anspruch nehmen. Die Angebote der Frühen Hilfen reichen von Lotsendiensten im Krankenhaus über Familienhebammen bis zu Beratungsstellen. Die Frühen Hilfen vermitteln praktische Hilfe für Familien und helfen zudem bei organisatorischen Fragen. Denn je besser die körperliche und seelische Verfassung der Eltern ist, desto besser können sie sich um ihre Kinder kümmern.

Wer kann Fragen beantworten und weiterhelfen?

Familien- und Erziehungsberatungstellen bieten Beratung und Hilfe an. Die Mitarbeiter unterstehen der Schweigepflicht. Hier haben Betroffene die Möglichkeit, offen über angst- oder schambesetzte Themen zu sprechen. Auch der Allgemeine Soziale Dienst der Jugendämter, Frühförderstellen wie die Frühen Hilfen, der Deutsche Kinderschutzbund oder Angehörigengruppen stehen als kompetente Ansprechpartner zur Verfügung. Zudem können Kinderärzte oder Hausärzte weitere Hilfen vermitteln.

Bücher für Kinder und Eltern

Kirsten Boie, Mit Kindern redet ja keiner. Sauerländer, 2020. - Als Charlotte neun Jahre alt ist, verändert sich ihr Leben plötzlich. Grund dafür ist ihre Mutter. Die hat mit einem Mal furchtbare Wutausbrüche, dann wieder sitzt sie stundenlang stumm auf dem Sofa und rührt sich kaum.

Karen Glistrup, Was ist bloß mit Mama los? Wenn Eltern in seelische Krisen geraten. Mit Kindern über Angst, Depression, Stress und Trauma sprechen. Kösel, 2013. - Dieses Buch vermittelt auf kindgerechte Weise, wenn Eltern psychisch krank oder in Not sind.

Schirin Homeier, Sonnige Traurigtage. Mabuse Verlag, 2006. -  In letzter Zeit ist mit Mama etwas anders: Sie ist so kraftlos und niedergeschlagen. Auf diese "Traurigtage" reagiert Mona wie viele Kinder psychisch kranker Eltern: Sie unterdrückt Gefühle von Wut oder Traurigkeit, übernimmt immer mehr Verantwortung und sehnt sich nach glücklichen "Sonnigtagen".

Andreas Schrappe und Schirin Homeier, Flaschenpost nach nirgendwo. Mabuse-Verlag, 2019. - Ein Kinderfachbuch für Kinder suchtkranker Eltern.

Brigitte Minne, Eichhörnchenzeit oder der Zoo in Mamas Kopf. Carlsen, 2007. - Ambers Mutter will immer nur schlafen. Wie ein Eichhörnchen im Winterschlaf. Manchmal ist sie auch eine giftige Schlange oder ein ängstlicher Hase. Eines Tages wird Amber alles zu viel.

Erdmute von Bosch, Mamas Monster. Was ist nur mit Mama los? Balance Buch + Medien, 2011.  - Ein Depressions-Monster, das Gefühle klaut, ja gibts denn so was? Seit Rieke weiß, was mit Mama los ist, geht es ihr gleich besser.

Jacqueline Wilson, Ausgeflippt hoch drei. Ravensburger Verlag, 2005. -  Marigold ist anders als andere Mütter. Manchmal sprüht sie vor Energie, ist fröhlich und aufgedreht. Manchmal weint sie den ganzen Tag. Marigold ist manisch-depressiv.

Weiterführende Links

Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder psychisch kranker Kinder - bag-kipe.de
Nationales Zentrum Frühe Hilfen - www.elternsein.info
Pausentaste - Ein Angebot für Kinder und Jugendliche, die sich um ihre Familien kümmern - www.pausentaste.de
Hilfe bei Sucht, Gewalt und/oder psychische Erkrankungen in der Familie -  www.kidkit.de
Hier erhältst du Hilfe und Informationen bei suchtkranken oder psychisch kranken Eltern - www.hilfenimnetz.de
Nummer gegen Kummer - www.nummergegenkummer.de
Deutsche Depressionsliga. Für Betroffene von Betroffenen - depressionsliga.de
Stiftung Deutsche Depressionshilfe - www.deutsche-depressionshilfe.de
Über 140 Mitgliedsorganisationen haben sich dem Aktionsbündnis Seelische Gesundheit angeschlossen. Das gemeinsame Ziel: Psychische Erkrankungen sollen nicht länger tabuisiert werden. - www.seelischegesundheit.net
Netz psychische Gesundheit - Erklärungen zu psychischen Erkrankungen - www.psyche.net

Quellen:

Fritz Mattejat u. Beate Lisofsky (Hg.), Nicht von schlechten Eltern. Kinder psychischer Kranker. Balance Ratgeber, 2014.
Karen Glistrup, Was ist bloß mit Mama los? Wenn Eltern in seelische Krisen geraten. Mit Kindern über Angst, Depression, Stress und Trauma sprechen. Kösel, 2013.